Nicht nur tolerant mit anderen, sondern für andere tolerierbar.
Dieser eine Punkt des schönen Vortrages von Bhakti Mönch Adi Purusha Prabhu gestern war nicht nur erleuchtend, sondern ist mir auch besondern leuchtend hell und deutlich in Erinnerung geblieben.
Es ging um die Qualität der Toleranz- eine der Tugenden aus Sri Caitanya Mahaprabhus Shikshastakam. Der Vers beschreibt vier Qualitäten, die wir auf unserem spirituellen Weg besonders kultivieren sollten. Übersetzt lautet der Vers so: „Sei demütig wie ein Grashalm, tolerant wie ein Baum, begegne anderen stets mit Respekt und erwarte nicht, den gleichen Respekt erwidert zu bekommen.“
Der gesamte Vers beinhaltet so viel Tiefe und dient als guter Reminder an eines der Ziele auf jedem spirituellen Pfad: Ein besserer Mensch zu werden. Denn sind es nicht nur die angesammelten Schichten, die wir immer mehr fallen lassen dürfen, um unser wahres Ich zum Vorschein zu bringen? Und diese Qualitäten des Selbstes äußern sich eben ganz stark in der Art und Weise wie wir mit uns und mit anderen umgehen.
Wie sieht es aus mit unserem Verhalten anderen gegenüber? Oft sind es unsere Liebsten, die es am härtesten abbekommen. Die kennen uns schon so und sind doch hoffentlich nachsichtig.
Der für mich neue Aspekt der Toleranz neben dem Tolerieren anderer Menschen oder Situationen war der Folgende: Nämlich selbst tolerierbar für andere zu werden!
Das war eine Perspektive, die ich in Bezug auf Toleranz noch nie eingenommen hatte und die mir sehr einleuchtend erschien. Vor allem bezogen auf den oben genannten Vers schließt das Tolerierbar-Sein für andere sowie die Demut, als auch den Respekt dem Anderen gegenüber und sicherlich das Nicht-Erwarten von Respekt, mit ein.
Tolerierbar sein für andere bedeutet echte Selbstwahrnehmung und den Willen an altem eigenen Mist zu arbeiten. Wir werden tolerierbar, wenn wir uns unserer Unzulänglichkeiten bewusst werden, vielleicht schon an ihnen arbeiten, wohl wissend dass wir sie noch nicht abgelegt haben. Das bringt offensichtlich eine demütige Haltung mit sich, wenn wir uns nämlich eingestehen, dass der andere es verdient besser von mir behandelt zu werden. Und dass ich mir im Klaren bin, dass der Grund für mein Verhalten dem anderen gegenüber weniger häufig an den Fehlern des anderen liegt (obwohl das so schön einfach wär), sondern oft an Unstimmigkeiten mit mir selbst.
Halten wir nicht oft z.B. noch an alten Leidensmustern fest, weil sie uns noch auf irgendeine Weise dienen? Warum würden wir das Gefühl nicht geliebt, angezweifelt oder abgelehnt zu werden, aufrechterhalten? Klingt doch paradox oder? Wer will das denn?
Ich möchte dich einladen mal einen Blick ein dein Leben zu werfen. Auf deine Verhaltensmuster, die Du eigentlich nicht an dir magst, die Du ggf. aber immer wieder an dir beobachten kannst. Den englischen Begriff für diese Muster finde ich ganz passend: Grungies. Grungies sind Verhaltensweisen, die wir immer und immer wieder an den Tag legen, nicht weil wir sie als angenehm empfinden, sondern weil sie uns auf irgendeine ungesunde Weise dienen. Diese scheinbaren „Vorteile“, die sog. Payoffs sind die Dinge, die wir durch das jeweilige Grungy-Verhalten „bekommen“.
Bist Du tolerierbar?